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Telefonische Ersteinschätzung soll Notaufnahmen entlasten

Telefonische Ersteinschätzung soll Notaufnahmen entlasten

Tag:
Maria
January 18, 2024
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Berlin – Eine bessere Patientensteuerung durch telemedizinische Angebote, ein Ausbau der Zusammenarbeit von Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenhäusern bei den Integrierten Notfallzentren sowie Notfallzentren für Kinder und Jugendliche: Mit einer „großen Reform“ wird Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in den nächsten Monaten die Notfallversorgung umbauen.

Ziel ist es, dass Patientinnen und Patienten „dort behandelt werden, wo sie am schnellsten und am besten versorgt werden.“ „Das muss nicht immer das Krankenhaus sein“, sagte Lauterbach bei der Vorstellung der Eckpunkte für eine Reform in den Räumlichkeiten der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin.

Er besichtigte auch die Leitstelle der KV, in der neben der Terminservicestelle die Anrufe der 116117 mit einer qualifizierten sowie ärztlichen Beratung eingehen. Die Vorschläge von Lauterbach wurden aus der Ärzteschaft sowie von den Krankenkassen positiv aufgenommen, nun komme es aber auf die Details an, hieß es unisono.

In dem geplanten Gesetz, das zum Januar 2025 in Kraft treten soll, sollen die Telefonnummern der Rettungs­leit­stellen (112) mit der Nummer des ärztlichen Bereitschaftsdiensts (116117) bundesweit verknüpft werden. Die jeweiligen standardisierten Abfragesysteme sollen harmonisiert werden, dass eine Kooperation sowie eine „rechtssichere Überleitung von Hilfesuchenden möglich ist“, heißt es in einem Eckpunktepapier.

Perspektivisch sollen auch bundesweite Standards dafür entwickelt werden. Insgesamt sollen die Terminservice­stellen bei den KVen, die neben der 116117 auch die Servicestelle zur Vermittlung von Facharztterminen (TSS) betreiben, ausgebaut und damit auch besser finanziert werden.

Vorhaltefinanzierung für Terminservice­stellen

Im Eckpunktepapier dazu heißt es: „Zur Förderung der Sicherstellung dieser Strukturen der TSS werden zusätzli­che Mittel durch die gesetzliche Krankenversicherung und die KVen über eine pauschale Vorhaltefinanzierung bereitgestellt.“

Der Vorstandsvorsitzende der KV Berlin, Burkhard Ruppert erklärte, dass in Berlin die Leitstellen bereits seit 2009 verknüpft seien und seit 2017 Patientensteuerung durch ein Ersteinschätzungsverfahren stattfinde. So hätten be­reits rund zwei Drittel aller Gespräche – rund 60.000 Stück – abschließend am Telefon bearbeitet werden können. Ruppert betonte, dass eine Ausweitung des Angebotes nicht ohne weitere finanzielle Mittel möglich sei. Die elf Notdienstpraxen der KV Berlin hätten derzeit jeweils ein Defizit von 100.000 Euro.

Mit der bundeweiten Reform soll der Sicherstellungsauftrag zur notdienstlichen Akutversorgung durch die KVen noch einmal konkretisiert werden, kündigt das Bundesgesundheitsministerium (BMG) an. Die KVen sollen ver­pflichtet werden, rund um die Uhr eine telemedizinische Versorgung sowie einen 24-stündigen Versorgungs­dienst für die Hausbesuche bei immo­bilen Patientinnen und Patienten anzubieten.

Hier kann allerdings auch qualifiziertes Personal eingesetzt werden und eine telemedizinische Betreuung hinzu­gezogen werden. Offene Sprechstunden bei Fachärzten, die in der TSS vermittelt werden, sollen künftig besser über die Woche verteilt werden, heißt es in den Eckpunkten.

Integrierte Notfallzentren (INZ) sowie das Pendant für Notfälle bei Kindern (Integrierte Kindernotfallzentren KINZ) sollen flächendeckend etabliert werden, bestehende Strukturen von KVen sowie Krankenhäuser sollen erhalten, aber in die neue Struktur überführt werden.

Verbindliche Zusammenarbeit zwischen KVen und Krankenhäusern

Das Gesetz will festlegen, dass ein INZ aus einer Notaufnahme eines Krankenhauses, einer KV-Notdienstpraxis sowie einer zentralen Ersteinschätzungsstelle besteht. Es soll eine „verbindliche“ Zusammenarbeit zwischen KVen und Krankenhäusern geben, so dass „immer eine bedarfsgerechte medizinische Erstversorgung bereitgestellt werden kann“, heißt es in den Eckpunkten zum Gesetz.

Die Verantwortung für eine Ersteinschätzungsstelle liegt bei den Krankenhäusern, Abweichungen seien aber möglich. Dazu gehört auch die digitale Vernetzung der gemeinsamen Arbeit. In den INZ sollen auch Termine in die ambulante sowie fachärztliche Versorgung vermittelt werden können – und darüber hinaus Rezepte und auch Krankschreibungen ausgestellt werden können.

Gesetzlich festgelegt werden sollen auch die Öffnungszeiten der INZ und die dazugehörige Besetzung durch die KV: So sollen am Wochenende ein Dienst zwischen 9 und 21 Uhr sowie mittwochs und freitags von 14 bis 21 Uhr erreichbar sein. Montags, dienstags und donnerstags soll der Dienst von 18 bis 21 Uhr durch die KV besetzt werden.

„Verkürzung der Öffnungszeiten sind im Rahmen der Kooperationsvereinbarung zwischen Notaufnahme und Not­dienstpraxis möglich, wenn empirisch nachgewiesen wird, dass eine Öffnung auf Grund geeigneter Inanspruch­nahme unwirtschaftlich ist“, heißt es in den Eckpunkten.

Die genannte Regelung ist eine deutliche Unterscheidung zu den Empfehlungen der Regierungskommission zur Notfallversorgung: Diese hatte eine Rund-um-die-Uhr Besetzung der INZ durch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte gefordert. Dies hatten Ärzteverbände als unrealistisch zurückgewiesen. Nun enthalten die Eckpunkte Mög­lichkeiten zur Zusammenarbeit mit Kooperationspraxen, die in der Nähe von Krankenhäusern liegen.

Finanzielle Steuerungsmechanismen für Patienten lehnt Lauterbach allerdings ab: „Mit mir wird es keine Selbst­beteiligung oder keine Strafgebühr für die falsche Nutzung der Notfallversorgung geben“, sagte der Minister.

Die Pläne des BMG stoßen auf Zustimmung sowie Forderungen nach mehr Details bei Ärzteorganisationen, Krankenkassen und in den Regierungsfraktionen.

Zum Teil unrealistische Ideen

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) sieht „positive Ansätze“, aber auch „unrealistische und versorgungs­ferne Ideen“. So sei der Ansatz sichtig, dass es eine verbesserte Patientensteuerung durch die Stärkung der TSS bei den KVen und den Rettungsleitstellen gebe.

„Fern der Realität ist vor dem Hintergrund knapper personeller medizinischer Ressourcen, eine 24/7-Versorgung ‚aufsuchender Art‘ etwa durch Fahrdienste einrichten zu wollen“, so die drei Vorstände der KBV, Andreas Gassen, Stephan Hofmeister und Sibylle Steiner, in einer Mitteilung.

Gleiches gilt aus Sicht der KBV für die Standortauswahl von INZ an Kliniken. Hier könne es keine 1.200 INZ ge­ben, wenn alle Notaufnahmen in Deutschland so ausgestattet werden sollten. Auf eine konkrete Zahl von INZ hatte sich Minister Lauterbach bei der Vorstellung der Eckpunkte nicht festlegen lassen. Er rechnet mit einem INZ pro 400.000 Einwohnern. Auch fordert die KBV eine ausreichende Finanzierung von Vorhaltekosten für die Aus­weitung der Arbeit der KVen.

Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) sieht viele Erfahrungen aus der Regelversorgung und den Modellprojekten, die in die vorliegenden Eckpunkte eingeflossen sind: „Mit den heute vorgelegten Eckpunk­ten werden mehr Brücken gebaut als Gräben aufgerissen“, erklärt Dominik von Stillfried, Zi-Vorstandsvorsitzender. „Bereits bestehende Kooperationsprojekte zwischen den Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigun­gen und Rettungsleitstellen sollen eine Rechtsgrundlage erhalten.“

Krankenkassen an Finanzierung beteiligen

Für den vorgesehenen Ausbau an KV-Strukturen müssten auch die Krankenkassen bei der Finanzierung beteiligt werden, so von Stillfried. Aus seiner Sicht könnten freiwerdende Mittel aus einem geringeren Einsatz von Rettungswagen genutzt werden. „Wie Modellversuche bewiesen haben, kann der Rettungsdienst wirksam durch Hausbesuche nichtärztlicher Fachpersonen entlastet werden, die bei Bedarf telemedizinisch unterstützt werden.“

Bei den Krankenkassen herrscht eine positive Bewertung vor. „Es wird Zeit, die ineffiziente und für Patientinnen und Patienten verwirrende Trennung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung im Notfall-Bereich endlich zu überwinden”, teilt die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann, mit. Die Pläne seien ein „notwendiger Schritt in die richtige Richtung.“

Es sei positiv, dass die Rufnummern 112 und 116117 vernetzt werden sowie INZs gegründet werden sollten. Aus ihrer Sicht müssten aber die INZ als „rechtlich eigenständige und fachlich unabhängige Organi­sationseinheiten konzipiert werden“, so Reimann weiter. Ein gemeinsamer Betrieb von niedergelassenen Ärzten und Kliniken würde „die Verteilungskämpfe und Fehlanreize bei der Steuerung der Patientinnen und Patienten verhindern“.

Für TK-Chef Jens Baas ist es wichtig, dass die Koordination der Notfallversorgung durch die Terminservice- und Rettungsstelle nun komme. „Bei der Umsetzung muss darauf geachtet werden, dass die Beitragszahlenden nicht weiter finanziell belastet werden“, so Baas in einer Mitteilung.

Einen „echten Perspektivenwechsel” sieht der GKV-Spitzenverband durch die Vorlage der Eckpunkte. „Für eine bedarfsgerechte Notfallversorgung brauchen wir in Zukunft rund 730 Integrierte Notfallzentren deutschlandweit. Entscheidend ist eine bessere Verteilung in ländlichen Gebieten, damit für alle Menschen ein Integriertes Notfall­zentrum in erreichbarer Nähe liegt“, sagte GKV-Vorständin Stefanie Stoff-Ahnis. Es komme aber auch darauf an, dass in Ballungsgebieten Überversorgung bekämpft wird. Die Zahl von 730 INZ hat der Kassenverband in einer eigenen Simulationsrechnung erarbeitet.

Ampel siganlisiert Zustimmung

Auch in der Ampelkoalition werden die vorliegenden Eckpunkte mit Wohlwollen aufgenommen. „Mit den Eck­punkten haben wir nun ein offizielles Signal, dass der Gesetzgebungsprozess begonnen hat,” so Herbert Woll­mann, zuständig in der SPD-Fraktion für die Notfallversorgung und die Rettungsdienste.

Er sieht aber weiteren Diskussionsbedarf: „In den Eckpunkten steht nichts grundlegend Überraschendes. Sie fol­gen größtenteils den Empfehlungen der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Kranken­hausversorgung.“

Viele Vorschläge seien positiv, allerdings sei die Ausweitung der Aufgaben für die ambulante Versorgung schwie­rig. „Das kann die ambulante Versorgung in Deutschland so nicht leisten“, sagte Wollmann, der als Krankenhaus­arzt gearbeitet hat und nun hausärztlich tätig ist.

Auch die Grünen unterstützten Lauterbachs Reformpläne. Heute gebe es „eine toxische Gleichzeitigkeit von Über-, Unter- und Fehlversorgung“, sagte Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen. Daher sei eine Reform überfällig, dazu gehöre auch eine bundesweite Vernetzung der Leitstellen der 116117 sowie der 112.

„Mit den angekündigten klaren Vorgaben für Wartezeiten, einer digitalen Vernetzung mit der 112 und einem Ausbau der telemedizinischen Kapazitäten wird die 116117 zur zentralen Kontaktstelle bei akuten medizinischen Beschwerden“, so Dahmen weiter.

Doch neben der Notfallreform müsse nun zügig auch eine Reform des Rettungsdienstes folgen: „Der Rettungs­dienst ist oft das letzte Sicherheitsnetz in einem überkomplexen Notfallversorgungssystem. Auch hier braucht es dringend eine Reform, um deutschlandweit eine hohe Versorgungsqualität, digitale Vernetzung und die Finanzie­rung von effizienteren Einsatzmitteln wie Gemeindenotfallsanitäterinnen, Notfallpflegeteams oder Telenotfall­diensten zu ermöglichen“, fordert der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen. Bis Mai solle diese ebenfalls vorgelegt werden, hieß es.
Quelle: aerzteblatt.de/  picture alliance, AFP-Pool, John Macdougall

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